Mit der Ausstellung „Struktur – Textur – Raum“ umkreist die Galerie Wolfgang Jahn in Landshut das vielseitige künstlerische Schaffen des österreichischen Bildhauers Alfred Haberpointner. Dabei stehen drei seiner zentralen Werkgruppen im Fokus: die reliefartigen hölzernen Wandobjekte, deren Bildoberfläche der Künstler mit gestischen Axthieben zu schroffen, zentrifugal auseinanderdriftenden Formationen und Wirbeln bearbeitet, die Serie seiner mit dem Umraum diffundierenden „Köpfe“, die sich mitunter aus einzelnen Scheiben- und Leerformen zusammensetzen, sowie der Werkkomplex der „Gewichtungen“, massereiche und behäbig anmutende Objekte aus Bronze, die auf dünnen stelzenartigen Füßen ausbalanciert werden.
Für Haberpointner ist das zugrundeliegende Material dieser Arbeiten, sei es Holz, Stahl oder Bronze, nicht nur Mittel zum Zweck für seine skulpturalen und plastischen Schöpfungen. Vielmehr spielen dessen Beschaffenheit, die Textur und der ästhetische Wert eine große Rolle in seinem Werk, in dem der Werkstoff trotz farbiger Fassung stets sichtbar und spürbar bleibt. Gerade auch bei seinen Holzarbeiten spricht Haberpointner von einem Transformationsprozess: aus dem organisch gewachsenen Rohstoff mit seinen spezifischen Eigenschaften und Texturen wird Kunst, ein schöpferischer Versuch, dem Material und damit dem Werkstück „eine neue Erscheinungsweise angedeihen zu lassen“.
Auch das Grundprinzip der Bildhauerei, die Wechselwirkung und Beziehung von Objekt und Raum, ist eines der zentralen Themen in seinem Schaffen. Durch das Gliedern und Aufbrechen der Oberflächenstruktur – sei es bei seinen Wandreliefs, den Köpfen oder den Buckeln und Aushöhlungen bei seinen aufgestelzten „Gewichtungen“ – entsteht nicht nur ein faszinierendes Spiel aus Licht und Schatten. Dem Künstler gelingt auch der Spagat zwischen Volumen und Leere, Masse und Fragilität, Schwere und Feingliedrigkeit.
Haberpointners farbig gefasste Wandobjekte aus Fichtenholz weisen eine vom Künstler geschaffene reliefartige Struktur auf. Durch die Bearbeitung des Werkstücks mit einer Axt entstehen Einschnitte, Einkerbungen und Brechungen, die er in den Bildträger treibt. Zusammen mit den stehengebliebenen Stäben und Splittern ergibt sich dabei eine raue, zuweilen widerborstige Oberfläche von großer haptischer Intensität. Ausgehend von einem Ursprungszentrum, von dem eine durch Farbe und Schattenwirkung erzielte Sogwirkung ausgeht, zersplittert und zerklüftet er das Werk in strahlenartige Strukturen, die explosiv in paralleler Anordnung auseinanderdriften. So entstehen sternförmige Ausrichtungen, Strudel und Wirbel mit Richtungswechseln, die von einer ungemeinen Dynamik zeugen und den gestischen Prozess der Bildgenerierung unter Einsatz des ganzen Körpers eindrucksvoll im statischen Medium des Werkstücks dauerhaft festhalten. Der Schwere dieser Blöcke entgegengesetzt ist der grafisch-lineare Eindruck, den diese Vertiefungen im Holz hinterlassen, sodass die Werke fast wie räumliche Zeichnungen wirken und mitunter in diesem Zusammenhang auch an Druckstöcke denken lassen. Ebenso lassen sie Assoziationen zu Rohrfederzeichnungen zu, und man mag unwillkürlich an Vincent van Goghs beeindruckende Wolkenwirbel wie etwa in seinem Bild „Die Sternennacht“ denken, die sich aus eben solchen grafischen Setzungen ableiten lassen. In ihrer Erscheinung erinnern sie aber auch an Magnetfeldlinien, die die unsichtbare Kraft des Magnetismus sichtbar machen, indem sie auf Materialien wie etwa Eisenspäne einwirken und sie zu rhythmisch auseinanderdriftenden Spuren ordnen.
Der buchstäblich vielschichtige Werkkomplex der Serie der „Köpfe“ stellt entindividualisierte, anthropomorphe Kopfformen dar, die unabhängig von kultureller Zugehörigkeit einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Als pars pro toto stehen sie für die menschliche Existenz und ihre komplexe Gedanken- und Gefühlswelt, für das Denken und Empfinden. Aufgesockelt ruhen die Köpfe in sich; zuweilen sind sie um einen inneren Kern mit Zügen eines menschlichen Antlitzes – ein Kopf im Kopf – angeordnet. Oftmals bestehen diese Werke aus lamellenartigen, in Abständen übereinandergesetzten Scheibenformen, die sich allmählich ausbreiten, dann wieder verjüngen, um physiognomische Details im Ansatz anzudeuten. Zwischen ihnen dringt die Leere und Luft des Raumes, sodass die Köpfe – vor allem, wenn sie aus Stahlplatten geschaffen wurden – in ihrem Spiel aus Material und Immaterialität einen flirrenden, vibrierenden und buchstäblich reflektierenden, kaum greifbaren Gesamteindruck vermitteln, der im Wortsinn zu einem offenen Freiraum der Gedanken wird.
Haberpointners formale Strukturen lassen sich auch auf der interpretativen Ebene wie ein Gleichnis lesen: Der Raum und damit die Außenwelt verbinden sich mit dem Inneren des Kopfes – und damit sinnbildlich mit Gedanken und Gefühlen. Der Kunstgriff der offenen Formen ermöglicht ein Diffundieren und einen wechselseitigen Austausch, ein Reagieren, Reflektieren und Empfinden auf äußere Reize und die jeweilige Umgebung, wie es die menschliche Gedankenwelt auszeichnet. Die sich öffnenden Kopfformen lassen aber auch eine Innenschau zu. So mag der eingebettete Kopf im Kopf für geheime Wünsche, Sehnsüchte, aber auch abseitige Gedanken stehen, die oftmals im Inneren verborgen bleiben und nicht im äußeren Antlitz direkt ablesbar sind.
Die Serie der geschichteten Köpfe folgt einem strengen, formal rational ausgerichteten Aufbau, der sich assoziativ mit kühlen Designobjekten, aber auch mit dem Ingenieurs- und Vermessungswesen verbinden lässt – Verdienste des menschlichen Geistes, die für technische Errungenschaften und Fortschritt stehen. Man mag rein formal an Höhenlinien topografischer Landkarten denken, an den Modellcharakter von Werkstücken aus einem 3D-Drucker oder aber auch an die scheibchenweise Vermessung des Körpers oder seiner Teile in einem radiologischen MRT-Scanner. Ebenso könnten die lamellenartigen Strukturen aber auch an Sedimentschichten erinnern, die die im Laufe eines Lebens gemachten Erfahrungen als Erinnerungen in immer tiefere Schichten des Bewusstseins wandern lassen. Und nicht zuletzt mag man an die ringförmigen Maserungen der Jahresringe von Bäumen denken, an denen sich Schicht um Schicht das wahre Alter erkennen lässt.
Auch bei den anders gestalteten Köpfen der Serie, die meditativ in sich ruhen, zeigt sich das faszinierende Element der Lebendigkeit stets in den Texturen – seien es filigrane Muster, die ein lebhaftes Eigenleben führen und wie ein Netz die menschliche Außenhülle umspannen, oder aufgeraute, Unruhe und Unstetigkeit evozierende Oberflächen, die mitunter wie Verletzungen oder Narben wirken.
Die Werkgruppe der „Gewichtungen“ stellt kleine, patinierte oder auch polierte Bronzeplastiken dar, die – wie auf dünnen Standfüßen aufgesockelte Massen – mit formalen Buckeln und Aushöhlungen eine durchwirkte Oberfläche aufweisen. Man ist geneigt, in ihnen organische Formen zu sehen, vielleicht außerirdisches Leben oder Vergleiche zu einem Pillendreher zu ziehen. Letztlich geht es dem Künstler jedoch um das Phänomen der Statik, das Ausbalancieren von Gewicht durch tragende Strukturen – um Gravitas und Leichtigkeit. Diesen Gegensatz formulierte der deutsche Philosoph und Pädagoge Andreas Tenzer einmal trefflich mit den Worten: „Das Schwere macht die Leichtigkeit des Seins erträglich.“
Dr. Veit Ziegelmaier