Mit der Ausstellung Dynamics zeigt die Galerie Wolfgang Jahn in Landshut Arbeiten von Laura Aberham (*1994) und Paul Schwer (*1951), die in einen kongenialen Dialog zueinander treten. Beide Kunstschaffenden entstammen unterschiedlichen Generationen und arbeiten in verschiedenen Medien. Doch es eint die ungegenständlichen Malereien von Laura Aberham und die abstrakten Plastiken von Paul Schwer, dass sie auf individuelle und charakteristische Weise dynamische Prozesse und gestische Bewegungsformationen im statischen Medium von Objekt und Bildträger darstellen und erlebbar machen.
Laura Aberhams Bilder sind Abstraktionen, die viel auf intuitiver Ebene mitzuteilen vermögen. Ihre Werke sind farbintensiv, kontrastreich, manchmal grell und synästhetisch „laut“. Sie strotzen vor (jugendlicher) Energie und Kraft, sind aufgewühlt und aufbegehrend, quirlig, lebensbejahend und impulsiv. Es sind gestische Abstraktionen, die mit breitem Pinselstrich Bahnen, Bögen und Schleifen in ihren schwungvoll angelegten Bewegungsmustern präsentieren. Buchstäblich entfalten sich ihre Formen. Wie der Wachstumsprozess von Pflanzen in der Natur wuchern sie sukzessiv über und in den Bildraum hinein, werden raumgreifend und vereinnahmend in der Fläche. Immer wieder ergibt sich ein Drunter und Drüber aus aufeinanderfolgenden und übereinanderliegenden Farbschichten, ein Ringen und Behaupten um die Vorherrschaft des Gesehenwerdens. Wie Eruptionen bahnt sich das Spiel der Formen und dynamischen Prozesse seinen Weg zu einer reichhaltigen, intuitiv anmutenden Farb- und Formkomposition. Farben, Schichten und Formen durchdringen sich, transparente und opake Flächen wechseln sich ab. Dinge ergänzen und ersetzen sich in der während des Malprozesses sukzessiv entstehenden Komposition, die immer wieder bis zum Schluss Umwälzungen unterliegt. Es entstehen Bildräume, die eine Tiefenwirkung entfalten, in die die Betrachtenden imaginär gleichsam wie ein Sog oder Strudel versinken. Dann wieder betonen die farbigen Bänder und Schlingen mit ihren abrupt wechselnden Bewegungen die Fläche, wenn sie regelrecht den Blick auf ein Dahinter versperren. Aberhams Bilder wirken wie ein halluzinatorischer Farbrausch; sie sind ein malerischer Inbegriff des Überschwangs, der Daseinsfreude, die die Intensität, aber auch die Dramatik des Lebens mit geballter Kraft durch Bewegung sowie formaler und farblicher Vielfalt zum Ausdruck bringt.
Bewegung ist Leben, und Stillstand das Gegenteil. Aberham gelingt es, die aufgewühlte Dynamik des Malprozesses im stimmigen Moment einer Komposition zu verdichten. Ihre Bilder sind Augenblicke des Innehaltens, in denen die Bewegungsprozesse wie eingefroren wirken. Es mag nicht verwundern, dass die Künstlerin, die u.a. bei Katharina Grosse an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, einer jungen Generation angehört, die ganz den Eindruck vermittelt, etwas gestalten, proaktiv verändern und umwälzen zu wollen und gleichzeitig das Wunder des Lebens zu feiern.
Auch bei Paul Schwer finden sich gebogene, ein- und ausschwingende Formen und Faltungen im dreidimensionalen Raum seiner Plastiken wieder. Grundlage für seine Objekte sind farbige und mit Siebdruckverfahren gestaltete Plexiglasplatten, die für sich genommen eigenständige Kunstwerke sein könnten. Immer wieder treffen grelle, oft neonfarbene Flächen und Flecken auf das Hell-Dunkel-Muster von Druckrasterpunkten, die in typischer Weise an die Ästhetik der Pop-Art mit ihrer von der Werbung und den Massenmedien beeinflussten Bildsprache erinnern. Doch diese Kompositionen, die manchmal zudem von gemalten vegetativen Zweigen durchzogen werden, sind nur ein Zwischenschritt in einem, als erweiterten Bildbegriff angelegten Kunstwerk, wo durch exakt bestimmte Hitzeeinwirkung und Faltungen aus der Zweidimensionalität der Platte ein Volumen mit Objektcharakter geschaffen wird. Fast wirken diese aufgebogenen und eingerollten Gebilde im Ansatz wie die zufälligen Formationen zusammengeknüllten Papiers, das man unabhängig von seiner interessanten und raffinierten Erscheinung oftmals achtlos beiseiteschiebt. Doch bei eingehender Betrachtung erkennt man im freien Spiel der Kräfte eine ausgewogene Komposition, die nicht zuletzt auch statischen Überlegungen Rechnung tragen muss. Manchmal erinnern die Objekte an kunstvoll drapiertes Bonbonpapier, dann wieder an die vegetabilen Strukturen von Blütenkelchen oder Samenkapseln. Dergestalt symbolisieren auch die Arbeiten von Paul Schwer ein Wachsen, Entfalten und Einnehmen von Raum, wie Pflanzen, deren Wachstumsprozess man im Zeitraffer eindrucksvoll nachvollziehen kann. Durch den Prozess des Formens, der wie bei einer Draperie manche Teile in den Vordergrund rückt und manche in Falten verdeckt, ergeben sich gänzlich neue und ungewohnte Blickwinkel auf das ursprüngliche künstlerische Motiv der Bildplatten. Der kalkulierte Zufall lässt aus den ohnehin abstrahierten Sujets nochmals einen neugestalteten Remix entstehen.
Die einfarbig silbern gefassten Arbeiten faszinieren in besonderem Maße. Sie wirken wie gegossen. Mit ihren auf- und eingerollten Formen bilden sie fragil und leicht anmutende Volumina, die im Gegensatz zu ihrem metallischen, eher schwer anmutenden Eindruck stehen. Auch reflektieren sie in ihrer spiegelnden Eigenschaft den sie umgebenden Raum und den Betrachter, der selbst durch die gebogenen Formen zu einer verzerrten und abstrahierten Figur auf der Oberfläche wird.
Laura Aberham und Paul Schwer: Beide halten sie spannungsreich Bewegungen in der Komposition ihrer Bildwerke fest und lassen dabei, auch ganz im übertragenen Sinne, bewegende Arbeiten entstehen.
Dr. Veit Ziegelmaier
Ausstellungseröffnung: 23.10.2024, 19.00 – 21.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 23.10. – 29.11.2024