Nocturnal Fantasy - Julia Emslander

19.04.2023 - 02.06.2023
Galerie Wolfgang Jahn | Landshut

Bilder der Ausstellung


Beschreibung

Mit dem Ausstellungstitel „Nocturnal Fantasy“ lockt Julia Emslander in die konzeptuellen Tiefen ihrer materiell wie technisch experimentellen künstlerischen Tätigkeit. In ihrer ersten Einzelausstellung in der Galerie Wolfgang Jahn bringt sie eine Auswahl von groß- bis kleinformatigen Malereiarbeiten in einen produktiven Dialog mit ihren Zeichnungen und Druckgrafiken. Die Ausstellung liest sich wie ein Streifzug durch die enorme Schaffensvielfalt der jungen Absolventin der Akademie der Bildenden Künste Münchens, die mit alchemistisch anmutender Kenntnis von Reaktionsprozessen zwischen Pigmenten, Farbbindern, Metallen und Textilien ihr eigenes Vokabular zeitgenössischer Malerei erschafft. 

Bezeichnend für die Werke von Julia Emslander ist ihr Umgang mit Farbe als Material. Im Anmischen ihrer eigenen Substanzen lotet sie die Grenzen malerischer Produktion stetig aus, und versetzt sie bewusst über einen vorgefertigten Malereibegriff hinweg. So macht sie sich beispielsweise die rostende Eigenschaft von Metallpigmenten als malerischen Effekt zu eigen, wodurch sich das Bild autonom weiterentwickelt. Nicht nur die Farbsubstanzen, auch die Wahl ihrer Maluntergründe und Werkzeuge sprengen im wörtlichen Sinn den Rahmen konventioneller Maltechniken: sie kratzt mit den eigenen Fingernägeln über die Oberflächen zuvor beschichteter Leinwände, oder zweckentfremdet den haushaltsüblichen Besen zum Pinsel. Ihre Prozesse sind weniger aktionistisch als choreografiert zu verstehen, während aus ihnen gleichzeitig eine spontane Leichtigkeit spricht. Die schnellen Besenschübe mit Acrylfarbe über einen mit Kunstfell bespannten Keilrahmen im Werk „Sober“ verkörpern dies exemplarisch. Die gleichen Materialien – Acrylfarbe und Kunstfell – verwendet sie auch im ausstellungstitelgebenden Werk „Nocturnal Fantasy“. Hier aber wird die speckige Konsistenz der Farbe mit sanften Pinselstrichen über die Kunsthaarfasern gelegt. Den Gesten wohnt etwas Zähmendes in sich, vielleicht auch weil das Fell unmittelbar auf ein belebtes, animalisches Gegenüber verweist.

In „Freedom and Danger“ – dem größten Werk der Ausstellung, hat Julia Emslander Epoxidharz mit schwarzem Pigment angereichert und dieses dann im flüssigen Zustand über den Maluntergrund in der Horizontalen geschoben. Entstanden ist eine assoziationsreiche Struktur, die wie lebendige Lava sich über den Bildrand auszubreiten droht oder an bereits gefestigtes Gestein aus tausendjähriger Formation erinnert. Als Bild wieder in die Vertikale zurückversetzt, birgt die lichtabsorbierende Tiefenwirkung der schwarzen, unebenen Masse auch die Parabel eines Portals, das zum Übertritt in unbekannte Sphären lädt. 

Julia Emslanders Malereien sind jedoch weit mehr als poetische Spielereien. Aus ihnen spricht auch eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Material als Träger symbolpolitischer Inhalte. Metalle oder Beton sind für die Künstlerin Stoffe, die auch stellvertretend für den urbanen Industriebau stehen: Sie verweisen auf immer größeres Wachstum und eine menschengemachte Dominanz über die Natur. Durch die künstlerische Auseinandersetzung mit diesen Materialien auf der Ebene kleinster Pigmentpartikel hinterfragt Julia Emslander sowohl ihre Beständigkeit als auch ihre Porosität. Was zersetzt vermeintlich stabiles Material? Kann das Wechselspiel aus Resistenz und Resilienz auf materieller Ebene auch als metaphorische Implikation für den menschlichen Umgang mit chemischen und natürlichen Substanzen gelesen werden? „Oil Spill“ ist eins der Werke, das starke sozio-ökonomische Konnotationen in sich trägt. Zwar verwendet die Künstlerin hier nicht tatsächliches Industrieöl, die Anspielung darauf entsteht jedoch umso mehr, da die klebrige Beschaffenheit des mit Harz untermischten Pigments sich wie ein Netz über die mattierte Leinwandfläche spannt. 

Die meisten Werke von Julia Emslander greifen jedoch über eine derart direkte Lesart der materiellen Beschaffenheiten hinaus. Zum gemeinsamen Thema vieler Werke lässt sich vielmehr die Auseinandersetzung mit Oberfläche als abstrahiertes Sinnbild von Grenzlandschaften – Skinscapes – benennen. Der englische Ausdruck steht für Haut als Schauplatz gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Aus dem soziologischen auf den künstlerischen Kontext übertragen, und konkret auf Julia Emslanders Werke angewendet, lässt sich von einer experimentellen Erkundung von Oberflächenstrukturen sprechen, die auch zum Ziel haben einen psychologischen Ausdruck zu formulieren: „Middleclass boredom“, „Tears of time“, „Fear of fear“ oder „Messy realities“ sind nicht als rein ästhetische Titelschöpfungen zu verstehen. Darin schwingen Reflexionen der Künstlerin über den Geisteszustand der Welt mit. 

Das Oeuvre von Julia Emslander besticht gerade durch dieses Spannungsverhältnis aus schnellgefertigten, intuitiv experimentellen Praktiken, die insbesondere ihr zeichnerisches Werk auszeichnen, und malerischen Arbeiten. Letztere sind allein auf Grund der materiellen Dichte von langwierigeren Prozessen der Vor-, Auf- und Nachbereitung geprägt. Die Papierarbeiten, hier in der Ausstellung insbesondere in Form von Frottagen präsent, sind nicht zuletzt auch als essenzielle Brücken zu den Malereien zu verstehen. Das spielt in das Grundsatzverständnis der Künstlerin hinsichtlich ihres Schaffens hinein – alles ist ein kontinuierliches Werk. Es sind keine voneinander unabhängigen Einzelobjekte. Die physisch wahrnehmbaren Grenzen sind und bleiben permeabel. 

 

Text von Tatjana Schaefer