Mit der Ausstellung “Minds & Hearts“ präsentiert die Galerie Wolfgang Jahn in Landshut neue Arbeiten von Hubert Scheibl, der seine künstlerische Ausbildung bei Max Weiler und Arnulf Rainer in Wien erhielt und seit den 1980er Jahren als wichtiger Vertreter der österreichischen Künstlergruppe der „Neuen Wilden“ gilt. Mit einer repräsentativen Auswahl an Gemälden, Papierarbeiten und Plastiken aus seiner aktuellen Schaffensphase dokumentiert die Werkschau Scheibls künstlerischen Ansatz im individuellen Umgang mit den unterschiedlichen Medien.
Hubert Scheibls künstlerisches Schaffen ist seit jeher einer selbstreferentiellen Abstraktion verpflichtet. Dabei verfolgt Scheibl, wie es auch im Ausstellungstitel “Minds & Hearts“ anklingt, in seiner Kunst den Ansatz einer intuitiven und individuellen Artikulation des Unbewussten, das sich in Parallelexistenz zu unserer ding- und kopflastigen Welt eben nicht in konkreten Abbildern fassen lässt und trotzdem als eine vage bleibende Übermacht im vermeintlich Verborgenen alles maßgeblich beeinflusst. Und dennoch scheint es gerade immer wieder die Natur zu sein, die ihm als Vor-, oder vielmehr Leitbild dient. Dieses vermeintliche Paradox löst sich buchstäblich in Wohlgefallen auf, wenn man sich auf seine Werke ganz intuitiv einlässt. Scheibl präsentiert uns Natur – und damit die Kraft des Lebens – nicht in ihrer offenkundigen, vertrauten Form und Erscheinung. Vielmehr sind Scheibls Arbeiten malerische, grafische und plastische Interpretationen ihres eigentlichen Wesens - und somit (s)eine Reduktion auf das Wesentliche. Scheibl verinnerlicht und manifestiert in seinen Werken die Triebkräfte der Natur, ohne zwangsläufig direktes Zitat, jedoch in indirekter Rede. Dabei wird deutlich wie wesensverwandt Kunst und Natur in ihren kreativen Schaffensprozessen sind. Geht es doch hier wie da um die Entstehung von Formen, das Kreieren von Strukturen und das Hervorbringen von Farbvariationen. Um Phänomene wie Entfaltung, Ausdehnung, Raumgreifen, Widerstände und Selbstbehauptung. Um das zyklische Erneuern, Verdrängen, Ersetzen und Ergänzen. Oft erprobt nach bewährten Plan, der dennoch Raum für „Spontanmutationen“ im Sinne eines kalkulierten Zufalls zulässt. Deutlich wird dies auch mitunter in der Wahl seiner Bildtitel, so etwa bei der Namensgebung seiner groß angelegten Serie “Plants & Murders“, deren Bezeichnung den Überlebenskampf im Sinne Darwins´“Survial of the Fittest“-These assoziativ als mögliche Interpretation nahelegt.
Scheibls – in jeder Hinsicht - vielschichtige Malereien zeigen ein „Davor“ und „Dahinter“, ein „Währenddessen“ und „Danach“ in einander überlagernden, sich durchdringenden Farbschichten, die die spürbar kraftvollen und unermüdlichen Bewegungsprozesse der Bildgenerierung im statischen Medium des Bildträgers wie Sedimentschichten festhalten. Wie der nie zur Ruhe kommende Kreislauf der Natur sind seine Malereien zu stimmigen Endkompositionen verdichtete permanente Umwälzungen, die auf Erneuerung und Veränderung zwischenzeitlicher Zustände abzielen. Ein Verschieben von Massen, ein Ringen um Behauptung von Struktur und Farbe, in dessen Zuge scheinbar Verborgenes in seiner vormaligen Existenz wieder sichtbar wird.
Nicht selten erinnern Scheibls impulsive Pinselsetzungen mit ihrer darin zum Ausdruck gebrachten kinetischen Energie an Wellen und Fließbewegungen oder herabbrechende Kaskaden. Wie die bewegte Brandung eines Ozeans, die in der Bildkomposition zu einer ästhetisch stimmigen Momentaufnahme wird und einen Stillstand suggeriert, der dennoch die tosende Kraft eindrücklich zum Ausdruck bringt. Dann wieder fühlt man sich erinnert an die ausgehärteten, schroff verwitterten Eisschichten eines Gletschers, der Zeit und Bewegung im Zustand des „Jetzt“ zu konservieren scheint und dessen klaffende Einschnitte wie die davongetragenen Narben weit zurückliegender Ereignisse anmuten. Die Assoziationsketten reichen bei der Betrachtung seiner Malereien über sich auskühlende Lavaströme, die die ständige Fließbewegung in ihrer Erstarrung noch in sich tragen, über wie vom Sturm gepeitschte grüne Baumstrukturen, deren rastloses Hin und Her und Auf und Ab sich nicht für unsere Augen zu einem einzelnen Bild einfangen lässt. Vielmehr flüchten sich hier die Details wie bei einer fotografischen Langzeitbelichtung und deren die Konturen verschleiernden Bewegungsunschärfe in die Abstraktion.
In den Bildern und Papierarbeiten der Serie “Ones“, die dem Titel nach das Einzelne und damit Einzigartige als Summe des Ganzen in den Plural setzt, dominieren im Zentrum jeweils schwunghaft gesetzte breite Pinselspuren mit sich ändernder Verlaufsrichtung, die ohne Absetzen in einer einzigen Bewegung gekonnt vollzogen werden. Wie im Winde flatternde Farbbänder oder rhythmisch choreografierte Schlaufenbewegungen mit changierenden Buntwerten lassen diese Formschwünge als ästhetische Setzung die Dynamik ihrer Entstehung eindrücklich nachvollziehen. Vergleichbar frisch aufkeimender Pflanzen entfalten sie sich zu ihrer vollen Form auf dem Bildträger, der ihnen zum Lebensraum wird. Dabei lassen vereinzelte Farbspritzer an den Ausgangspunkt zellularer Strukturen denken. Und nicht selten hat man gerade bei den Papierarbeiten den Eindruck, das Format würde sie, wie ein zu knapp bemessener Käfig, dessen Platz es voll und ganz auszukosten gilt, in ihrem Bewegungsdrang wie ein gefühltes Hemmnis einengen.
In den Blättern der “Plants & Murders“- Serie sind es zarte Grafitlinien, die wie dünne Halme oder feingliedrige Wurzelstrukturen, Spermatozoen oder das Myzel eines Pilzes sich beständig und doch zaghaft vorfühlend über die Fläche des Papieres ausbreiten und sich dabei überlagern und Verknüpfungen eingehen. Sporadische Ansammlungen von Farbtropfen, -strichen und -bündeln suggerieren das Wachstum von farbprächtigen Blüten als Sinnbild von Schönheit und zugleich zweckgerichteter Bestimmung zum Fortbestand des Lebens. Die Faltbilder der Serie, die entlang der Falz nicht zuletzt dem Zufall geschuldete symmetrisch wuchernde Strukturen entstehen lassen, wirken wie die phantasievolle Darstellung prächtig anschwellender Blütenkelche, deren betörende Anziehung sich eindringlich vermittelt. Oder aber sie lassen an die Erscheinung eines Schmetterlings denken, der sich im Zuge seiner Metamorphose von der unscheinbaren Raupe zur prachtvollen Gestalt entwickelt.
Scheibls plastisches Werk steht seinen Zeichnungen und Papierarbeiten noch ein Stück näher als seiner Malerei. Wieder finden sich hier ver- und entfremdete florale Strukturen, die ihre Wesensverwandtschaft zur Natur jedoch nicht leugnen können und wollen. Auch hier begegnet einem dergestalt nichts vordergründig Vertrautes, sondern etwas Phantasie- und Geheimnisvolles, ja Rätselhaftes, was dazu beiträgt, dass der Betrachter – jenseits seines angelernten und wiedergekauten Wissens – wieder in Staunen versetzt wird. Scheibls Plastiken haben ihren Ursprung u.a. in seiner Faszination für die botanischen Anschauungs- und Lehrmodelle von Robert und Reinhold Brendel, die Ende des 19. Jahrhunderts zuerst in Breslau und dann in Berlin angefertigt wurden. In ihrer Erscheinung stark vergrößert, galten diese als repräsentative Wiedergaben von Natur zu Studienzwecken. Durch ihre idealtypische, klassifizierende Darstellung sowie mit den zu ihrer Herstellung verwendeten Materialein wie Holz, Papiermaché, Stoff, Ölfarbe etc. verkörpern diese Modelle schon selbst eine Abstraktion von Natur und Wirklichkeit. Als Künstler geht Scheibl in seinen Plastiken weit darüber hinaus. Seine ureigentümlichen Kreationen sind auf Plinthen aufgesockelte, langstielige Phantasiegebilde, die sich an vegetabilen Formen orientieren, diese aber neu entdecken und denken. Dabei zeigt sich auch ein kreativ-spielerischer Umgang mit den verwendeten Materialien, so etwa, wenn Deckel von Farbtuben zu Halterungen von Spiegelelementen werden. Oder wenn Scheibl seine Objekte mit in Asien erworbenen, kostbaren Papieren voller chinesischer Schriftzeichen, zuweilen aber auch mit Seiten aus Partituren ummantelt, die über ihren ästhetischen Reiz hinaus verrätselte und in dieser Form kaum mehr zu entziffernde, geschweige denn vollständige Botschaften bereithalten. Vormaliges Wissen wird so wieder zum Ungewissen, das Bewusste zum Unbewussten.
Dr. Veit Ziegelmaier
Diese Ausstellung wird von der Stiftung Kunstfonds als Teil des Programms NEUSTART KULTUR gefördert.