Wer hat Angst vor Rot, Gelb, Blau?

Gruppenausstellung mit Anne Jud, Helmut Middendorf, Rainer Fetting, Salomé und Bernd Zimmer
07.05.2025 - 14.06.2025
Galerie Wolfgang Jahn | München

Bilder der Ausstellung


Beschreibung

 

Das Sublime ist der Mensch, der an den vom Künstler in das Kunstwerk projizierten subjektiven Inhalten als Betrachter die hervorgerufenen subjektiven Inhalte denken kann. 
Barnett Newman 1949

Wer hat Angst vor Rot, Gelb, Blau? Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf vier Bilder des US-amerikanischen Künstlers und Hauptvertreter des Abstrakten Expressionismus Barnett Newman (1905 – 1970). Mit dem Originaltitel „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ nahm Newman Bezug auf das Theaterstück „Who’s Afraid of Virginia Woolf?“ von Edward Albee, das 1962 am Broadway uraufgeführt wurde; dieses wiederum beruhte auf dem Kinderlied „Who’s afraid of the big bad wolf?“ Die vier Bildvariationen Newmans, ausgeführt als monochrome Flächen in den Primärfarben, entstanden von 1966 – 70 gewissermaßen im kunsttheoretischen Dialog mit Piet Mondrian, Mark Rothko und Jackson Pollock. Sie gehören zu den Hauptwerken des Abstrakten Expressionismus und befinden sich heute in vier unterschiedlichen Sammlungen zwischen Los Angeles und Berlin. 

Zu seinem fundamentalen Farbfeld-Problem „Rot, Gelb und Blau“ resümierte der Maler 1969: „Es war kurz nachdem ich den roten Hauptkörper aufgebaut hatte, als das Farbproblem entscheidend wurde, nur die Farben Gelb und Blau waren möglich. - In diesem Moment realisierte ich, dass ich dem Dogma gegenüberstand, dass Farbe auf die Primärkonstellation reduziert werden muss. Wie ich anderen dogmatischen Positionen der Puristen, Neoplastizisten und anderen Formalisten entgegentrat, war ich nun in Konfrontation mit ihrem Dogma, welches Rot, Gelb und Blau mit einer Hypothek belasteten, in dem sie diese Farben in eine Idee transformierten und sie dadurch als Farben zerstörten? Ich hatte deshalb den doppelten Anreiz, gerade diese Farben zu verwenden, um meine Absichten auszudrücken, sie mehr expressiv als didaktisch einzusetzen und sie von ihrer Hypothek zu befreien. Warum sollte irgend jemand Angst haben vor Rot, Gelb und Blau?“

In der Folge wurden die Leinwände Newmans immer monumentaler. Die vierte und letzte Version, die sich heute in der Sammlung der Berliner Nationalgalerie befindet, ist mit 274,3 x 604,5 cm die größte der ungerahmten in Acryl ausgeführten Gemälde. Dort wurde es 1982 trotz massiver Proteste der Öffentlichkeit, Morddrohung gegen den damaligen Direktor Dieter Honisch inklusive, aus dem Nachlass des Künstlers angekauft. Am 13. April 1982 wurde das jüngst erworbene Werk Newmans schließlich durch den Angriff eines Studenten so schwer beschädigt, dass es erst im Januar 1985 nach einer aufwendigen Restaurierung wieder im Mies-van-der-Rohe-Bau gehängt werden konnte. 

Nicht selten wurden eben jene Monumentalbilder des US-amerikanischen Künstlers zum Endpunkt der Malerei erklärt. Alles gesagt, alles gemalt. Für die Berliner Künstler*innen jedoch, die sich ab 1977 in der sogenannten Galerie am Moritzplatz organisierten, war diese neue Malerei keineswegs das Ende, sondern ganz im Gegenteil, es war erst der Anfang. Insbesondere Bernd Zimmer hat sich in der Folge immer wieder explizit auf Barnett Newman bezogen: „Meine Raps-Felder waren die Antwort auf Barnett Newmans ›Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau‹.“  

Zur Galerie am Moritzplatz gehörten unter anderen Anne Jud, Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer. In einer Etage in Berlin-Kreuzberg, direkt hinter der Berliner Mauer entstand damals eine Ausstellungsgemeinschaft, in der nicht nur Malerei, sondern auch Fotografie, Film und Performance gezeigt wurde. Das Adjektiv „wild“, dass diesen Künstler*innen immer wieder angehängt wird, trifft eigentlich nur insofern zu, als die damals Mitte Zwanzigjährigen in der Stadt, die niemals schlief, durchaus ein wildes Leben führten, was zum Teil als Bildidee auch Eingang in ihre Malerei fand.

Das Debut am Moritzplatz gab Salomé (geb. 1954 in Karlsruhe): In Strapsen auf einem in rosa Seide gehüllten, mit Rosen bedeckten Bett. Die Performance hieß schlicht Auf dem Rosenbett. Salomé machte sich selbst, seinen Körper und die Sexualität zum Mittelpunkt seiner Kunst, dabei entwickelte er seine Malerei mit immer neuen Serien und Bildideen stets weiter. Bekannt ist er heute vor allem für seine Schwimmer- und Seerosenbilder der 1980er-Jahre. Rainer Fetting (geb. 1949 in Wilhelmshaven) zeigte zu seiner Premiere am Moritzplatz die ersten Mauerbilder. Sein Motiv ist eines der berühmtesten Bauwerke der Welt, für ihn aber war es der Blick aus dem Fenster: Die graue Berliner Mauer wurde zur Projektionsfläche seiner Malerei. Die Fläche dynamisierte er schließlich durch einen bewegten, freieren Pinselstrich und erweiterte sein Repertoire um die menschliche Figur. Fetting ist von den Berliner Malern um den Moritzplatz wohl derjenige, der sich mit der europäischen Malereigeschichte am meisten verbunden fühlt. Er arbeitet häufig in den klassischen Bildgattungen des Portraits oder Akts und bezieht sich in seinen Titeln sowie in der Bildkomposition und der Pinselführung auf Vorbilder wie Vincent van Gogh, Francis Bacon oder Ernst Ludwig Kirchner.

Helmut Middendorf (geb. 1954 in Dinklage) war wie auch Salomé Schüler von Professor K. H. Hödicke. In den ersten Jahren an der Hochschule der Künste drehte er mit der Super-8-Kamera konzeptuelle, kurze, pointenreiche Filme. Ins Zentrum seiner Malerei rückte er schließlich das Erlebte der »Großstadteingeborenen«. Die flächige, nahezu ohne Perspektive ausgeführte Malerei gibt Aufschluss über die Genese des Motivs: Ob als fotografisches oder mentales Bild, Middendorfs Vorlagen entstammen der nächtlichen Großstadt, die sich in der Dunkelheit dem Auge nur als Silhouette zeigt. Die elektrisierten Bewohner, festgehalten in Momentaufnahmen, sogenannten »Stills« oder »frozen images«, vervollständigen das Gesamtbild der Großstadt und die eigene Erlebniswelt des Künstlers.

 

So wie wir die neue Mathematik, die neue symbolische Logik und die neue Physik als Anfang einer neuen Auffassung der Welt akzeptiert haben, so müssen wir die neue Malerei als den Anfang einer neuen Auffassung von Schönheit akzeptieren. 
Barnett Newman 1945

Über dem Atelier von Anne Jud (1953 Luzern – 2016 Santa Barbara, USA) und Bernd Zimmer (geb. 1948 in Planegg) in der Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg arbeitete der Maler Bernd Koberling. Er führte Zimmer damals in die Dispersionsmalerei ein. Das Emulsionsgemisch war billiger als Öl und förderte wegen der kurzen Trocknungszeit den schnellen, gestischen Strich, der auch in der Klasse von K. H. Hödicke stilprägend wurde.
Mit seinen Landschaftsbildern entwickelte Zimmer den dialektischen Widerpart zu den Bildern der Punk- und Subkulturszene. Nicht minder provokant, wollte er testen, wie weit man es mit der »Neuen Malerei« treiben konnte. Mehr als irgendeiner seiner Berliner Kollegen orientierte er sich an den Vertretern der Farbfeldmalerei, die sich ab Mitte der 1950er-Jahre im Umfeld der New York School in den USA entwickelt hatte. Später begriff Zimmer seine Farbflächen als den eigentlichen Durchbruch seiner Malerei, und gleichzeitig als eine Art Vorabschied von der Berliner Szene um den Moritzplatz.

Während sich Fetting, Middendorf, Salomé und Zimmer hauptsächlich durch ihre Malerei hervortaten, interessierte sich Anne Jud insbesondere für den performativen Akt als künstlerischen Ausdruck. Die gebürtige Schweizerin hatte in Zürich und Wien eine Schauspielausbildung genossen und kam 1974 nach Berlin. Im Wagenbach-Verlag, der unter anderen das Rotbuch »Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa« (1971), das sogenannte RAF-Manifest herausgegeben hatte, lernte sie Bernd Zimmer kennen. Nach einer gemeinsamen Reise durch Mexiko und die USA, entstanden in Berlin ihre ersten Werke mit One-Dollar-Bills (1-Dollar-Banknoten). Sie schuf ganze Gemälde mit den US-amerikanischen Banknoten, entwarf Dollar-Mode sowie den dazu passenden Laufsteg. Sie überzog High Heels und Möbelstücke, One-Dollar-Bills all over.
 
Als Thomas Kempas, damals Leiter des Berliner Hauses am Waldsee, Middendorf, Fetting, Salomé und Zimmer 1980 eine Ausstellung in der Zehlendorfer Villa ermöglichte, wurde die Galerie erstmals in die Gruppe der Maler*innen und die der Nichtmaler*innen gespalten. Die Ausstellung bedeutete immerhin für einen Teil der Künstler den Durchbruch. Heiner Bastian, der für die Sammlung Marx einkaufte, erwarb Bilder von Salomé und Fetting. Aus der Schweiz kamen die Galeristen Thomas Ammann und Bruno Bischofberger, Yvon Lambert kam aus Paris, Enzo Canaviello aus Mailand. Zimmer fuhr mitten im Boom zum Malen wieder ins bayerische Oberland, Fetting und Salomé reisten durch die Welt und Middendorf mietete sich in Berlin ein Atelier, wo er Gemälde im monumentalen Format anfertigte. Anne Jud lernte schließlich im Flugzeug auf dem Weg zu Salomé, der ab 1984 zwischen Berlin und Los Angeles pendelte, ihren späteren Ehemann kennen und siedelte in die USA über.

Die natürliche Sehnsucht des Menschen, in den Künsten sein Verhältnis zum Absoluten auszudrücken, wurde mit dem Absolutismus vollkommener Schöpfungen identifiziert und verwechselt – mit dem Fetisch Qualität –, so dass sich der europäische Künstler seither fortwährend im moralischen Widerstreit zwischen der Idee der Schönheit und der Sehnsucht nach dem Erhabenen aufreibt. 

Barnett Newman 1948

Text: Franziska Leuthäußer

 

Fotocredit: Produktion Pitz


Künstler