BUBBLES - Jiří Georg Dokoupil

30.06.2016 - 05.08.2016
Galerie Wolfgang Jahn | Landshut

Bilder der Ausstellung


Beschreibung

Wilfried Dickhoff 

 

Seifenblasen Denken

Sphären

Die Syntax ist ein Vermögen der Seele.
Paul Valéry

Die schätzungsweise 137 Bilderserien, die Dokoupil seit Ende der siebziger Jahre bis heute geschaffen hat, unterscheiden sich voneinander in allem, was ein Bild ausmacht, in künstlerischer Haltung und Ambition, in malerischer Diagrammatik, piktoraler Logik der Sensation, variiert implizitem Kunstbegriff, mehrstimmiger Nicht-Komposition und vielem mehr. Entsprechend variieren sie auch im Umfang. So gibt es Bilderfindungen, die sich in nur wenigen Bildern erfüllt haben, manchmal nur in einem einzigen. Und so gibt es auch umfangreiche Serien, die sich über einen längeren Zeitraum immer weiter entwickelt haben und dabei innerhalb ihres Erfindungsrahmens und ihrer Herstellungsmethode wiederum unterschiedliche Formen angenommen haben. So die Kerzenbilder, denen er immer wieder neue Aspekte und erstaunliche Variationen abgewinnt und ganz besonders die Soap-Bubble Paintings, an denen er bereits seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet und die er aktuell zu einer atemberaubenden Präsenz entwickelt hat - ein gutes Beispiel für Dokoupils endlose Reise ins Ungewisse und Unvorhergesehene.

Hier ist er vor allem auch Erfinder einer malerischen Technik zur Bildherstellung, ein Bildwissenschaftler, genauer ein Naturwissenschaftler möglicher Bilder. Die Soap-Bubble Paintings sind das Ergebnis über viele Jahre immer wieder neu variierter Experimente, auf der Basis verfeinerter Versuchsanordnungen chemischer Verbindungen. Ziel ist die Entwicklung einer Methode zur Herstellung originärer Bilder - das schöne Paradox einer technisch vermittelten Produktion nicht reproduzierbarer Bilder. Die Soap-Bubble Paintings bestehen übrigens nicht aus gepinselten Seifenblasen. Dokoupil malt keine Seifenblasen, sondern er malt abstrakte Bilder mit echten Seifenblasen. Mit Pusterohren aus Metall rührt er große Seifenblasen an, die er so über die Leinwand zieht, dass sie auf dieser zerplatzen und wirkungsvolle, bildträchtige Spuren hinterlassen. Diese Spuren bestehen aus einer mit Pigmenten angereicherten Seifenlauge, die sich in Form von zwei Molekülschichten, innen und außen an einen dünnen dipolaren Wasserfilm so anlagert, dass eine Membran entsteht, die eine tendenziell kugelförmige Blase ergibt - eine Seifenblase. Die spezielle Mixtur aus Seifenlauge und Pigmenten, die Dokoupil hierbei verwendet, bleibt ein Geheimnis. Ich weiß nur, dass unter anderem sogenannte Perlglanz Pigmente, die in einem komplizierten Verfahren mit Metallplättchen beschichtet wurden und eine Seife, die nicht mehr hergestellt wird, im Spiel sind.

Ein Stück weit ist damit auch das im Spiel, was der romantische Naturforscher Friedlieb Ferdinand Runge den "Bildungstrieb der Stoffe"1 nannte. Aus Experimenten mit chemischen Verbindungen, bei denen, ohne seinen gestaltenden Eingriff komplexe farbige Molekülstrukturen entstanden, gewann er die Einsicht, dass es einen Trieb der Stoffe gibt, der selbständig Bilder generiert, vielfarbige bildhafte Strukturen, wobei die Entstehung des Bildes mit der Entstehung der Farben zusammensfällt: "So macht die Chemie ihre Bilder"2, sagte er und ging soweit, vom "Malermeisterstück der Chemie"3 zu sprechen.

Ein gewisses Eigenleben der Seifenblasen, die bildträchtige Strukturen bilden, gibt es auch in den Soap-bubble Paintings. Genauer: Dokoupil hat eine Methode entwickelt, die von sich aus bildgebend ist. So lässt er den Eigensinn chemischer Prozesse, die beim Zerplatzen der Seifenblasen entstehen, bewusst gewähren. Derart von individuellem Ausdruck, persönlicher Perspektive und scheinbarer Authentizität eines Künstler-Subjekts abzusehen, interessiert ihn seit jeher, im Rahmen seines Konzepts nicht-identischer Malerei und dabei konkret im Hinblick auf eine gezielte komponierte Dekomposition, wodurch die Konstellationen der Spuren, die die Seifenblasen auf der Leinwand hinterlassen, allererst zu Bild einem werden.

Dokoupil inszeniert so ein piktorales Spannungsfeld aus Chemie und Kunst, aus nicht- subjektiven Gesten und naturwissenschaftlicher Methode, kalkulierter Spontanität und sich selbst unterlaufendem Kalkül, aus flat formality und räumlicher Illusion, aus Formlos-Sein und Form-Werden - ein malerisches Empfindungsdenken, ein informelles Denken in Seifenblasen auf Leinwand. Die Soap-Bubble Paintings verdanken sich einer ziemlich singulären logic of sensation, die sich in Form eines endlosen Musters ausbreitet. Dabei ist, wie Roland Barthes bemerkte, immer auch ein wenig "Linkerei" in der Intelligenz.4 Dokoupil linkt die Stereotypien und Codes der Kompositionsmuster, die als Kunst gelten, aber ohne dem "Konformismus der Destruktion"5 zu verfallen. Sein auch sich selbst linkendes Seifenblasen Denken ist immer auf der Suche nach einer faszinierenden disharmonischen Harmonie, einer kalkuliert nicht-kalkulierten Komposition, einer Nicht-Komposition, gewonnen aus einer mit jedem einzelnen Bild neu ansetzenden Überschreitung des Ästhetischen mit ästhetischen Mitteln.

Die Ergebnisse sind beeindruckend und in der Tat genau das, worum es ihm dabei geht: reine Faszination, die ihre Erfüllung in der Begeisterung des Betrachters findet. Das materielle Ereignis der Soap-Bubble Paintings ist reine Begeisterung, reine Faszination. Sie sind begeisternde, faszinierende Empfindungswesen, die uns durch die Art und Weise in der Dokoupil die chemisch bedingte Vielfarbigkeit der Seifenblasen auf der Leinwand deplatziert, mehrstimmig ansprechen. Bei verändertem Lichteinfall und von Blickwinkel zu Blickwinkel wechseln sie ihre Farben. Schon im bloßen Vorbeigehen wird ein mattes lineares Beige-Grau zu einer glänzenden Grünmetallic Fläche, eine weiße zu einer Purple Blase mit dreidimensionaler Illusion, ein kaltes Blau zu einem warmen phosphoreszierenden Türkis. Die Farbtöne changieren nicht nur, auch nicht nur ins Kontempläre, sondern es wechseln die Farben zum Teil komplett und mit ihnen auch Komposition, Atmosphäre, mögliche Assoziationen, ja das gesamte Bild. Ein Seifenblasen Bild ist viele Bilder, eine polyphone nicht-identische Nicht-Komposition, die den Betrachter zu einem visuellen Polylog einlädt.

So klar sie als nicht-figurative Abstraktionen komponiert sind, so sehr sind die Soap-Bubble Paintings andererseits offen für das gesamte Universum an Assoziationen, dass das Phänomen Luftblase und seine komplexen Farb- und Formstrukturen auf Leinwand je nach Lichteinfall nahelegen: Synapsen Konstellationen, die das Seifenblasen Denken hinterlassen hat, farbprächtige Unterwasserwelten, Planetengestöber, mikro- und makrokosmische Gebilde, Gesichter, die kurz auftauchen und wieder verschwinden, Glaskugeln, in denen man sich gerne Zukunft einbildet und natürlich alle nur erdenklichen Blasen, von der Blase der Liebe in Hieronymus Boschs Gemälde "Der Garten der Lüste" (1485-1510) bis hin zu Schutzhüllen, Fruchtblasen und anderen gemeinsamen Innenräumen und den damit verbundenen elementaren Gefühlen von Heimat, Ursprung, der Sensation der Geburt und jener Neuerfindung des Lebens, die man Liebe nennt. Der molekulare Aufbau der Seifenblasen Membran ähnelt übrigens dem von Biomembranen, weshalb man Seifenblasen mit Recht eine quasi organische Qualität zuschreibt, die entsprechende Assoziationen und Gefühle auch real körperlich nahelegt. Und natürlich ist die Seifenblase, seitdem sie vor ca. 5000 Jahren von den Sumerern erfunden wurde, eines der beliebtesten Bilder für das Universum - als unendlicher Transzendenz-Immanenz-Raum vorgestellt. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen haben die Soap-Bubble Paintings manchmal den Hauch eines kalten Blicks aus weiter Ferne, ein Blick, der die ontologische Indifferenz, die Gleichgültigkeit des Seins in den Blick nimmt.

Aber so sehr diese Bilder all das und noch viel mehr evozieren, so sehr ziehen sie sich auch wieder davon zurück, alles Mögliche auftauchen und wieder verschwinden lassend. Denn am Ende sind sie nicht mehr und nicht weniger als eigenständige abstrakte Bilder, die nicht an die Bedeutungsordnung anschließbar sind. Das ändert gleichwohl nichts an ihrer Faszination, im Gegenteil, diese besteht gerade in diesem Oszillieren zwischen konkreter Abstraktion und evozierter Assoziation. Was diese Faszination konkret ausmacht, ist der Augenblick, in dem das, was wir sehen, uns anschaut. "Das Bild bildet (fait image), indem es einem Blick gleicht."6 Genau das geschieht hier: das Sichtbare stellt sich als Sehendes dar, ein Bild blickt uns an und entfaltet dabei einen Sog ins Imaginäre. "Sie laden zum Träumen ein", wie eine Mutter, die mit ihrer Tochter vor einem Soap-Bubble Painting stand, mir mit verträumtem Blick sagte. Sie laden dazu ein, sich einem Zustand leicht entrückter Abwesenheit anzuvertrauen, jener gedankenverlorenen Stimmung, die man "In-Gedanken-sein" nennt, eine latent existenzielle Haltung, von der Jean-Paul Sartre sagte: "Der Mensch gleicht entweichendem Gas, er strebt hinaus ins Imaginäre."

Die Soap-Bubble Paintings üben diese faszinierende Anziehungskraft besonders auf Kinder aus und ganz besonders auf das Kind in uns allen. Sie erwecken Erinnerungen an das faszinierte Zur-Welt-sein der Kindheit. Zum Beispiel an das Erlebnis des Ditschens, bei dem ein mehrfach auf Wasser aufspringender Stein kreisförmige Wellen schlägt oder eben an das Ereignis fliegender Seifenblasen, in denen unser Atem ein kurzes Nachleben außer uns gewinnt und so ein Teil von uns in den Möglichkeitsraum hinausschwebt, in Form von fragilen, hauchdünnen, bunt glänzenden Kugeln, die zum "Medium einer überraschenden Seelenexpansion"werden. Peter Sloterdijk beschreibt es sehr treffend: "Begeistert, solidarisch mit seinen schillernden Kugeln stürzt sich der experimentierende Spieler in den offenen Raum und verwandelt die Zone zwischen Auge und Gegenstand in eine beseelte Sphäre."8

In Augenblicken ihrer Faszination vermögen die Soap-Bubble Paintings Erinnerungen dieser beseelten Sphäre zu evozieren, die uns allen in die Kindheit scheint. Darin dem verwandt, was der späte Walter Benjamin im "Passagen Werk" unter Aura verstand: der Erinnerung an ein verlorenes Menschliches. Aber wie alle möglichen Assoziationen wäre auch diese auratische Erfahrung nicht ohne die einfache Präsenz dieser Bilder, zurückgeholt vor die Tatsache einer für sich stehenden, referenzlosen, nicht-figurativ abstrakten Nicht-Komposition, bestehend aus Spuren zerplatzter Seifenblasen-Molekülen. Doch je konsequenter sich Dokoupil hier auf die materielle Präsenz des Bildes im Rahmen des imaginären Rechtecks konzentriert hat, umso mehr findet, dennoch oder vielleicht gerade deshalb, eine Entrahmung statt, die eine Überschreitung eröffnet: There is more than what there is. "Die Kunst will Endliches erschaffen, das das Unendliche zurückgibt."9 Sie entwirft intensive, begeisternde Kompositionsebenen, die komplexe Empfindungen zuspielen, die der Betrachter eingeladen ist, anzunehmen und woandershin zu führen - wohin auch immer. Genau das geht bei den Soap-Bubble Paintings auf. Mit Hilfe dafür offener Betrachter schlagen sie den Blick auf und entfalten eine beseelte Sphäre zwischen den Spuren zerplatzter Seifenblasen und den Augen, die ihren Blick annehmen - das materielle Ereignis einer Empfindungskonstruktion: eine Transzendenz innerhalb der Immanenzebene der Malerei.

Ermöglicht wird das vom Inkommensurablen und Inkommunikablen dieser Bilder. Denn das Ziel der Malerei ist unbestimmt, weshalb man ihren schönsten Ergebnissen nie ganz auf den Grund kommt. Das ist ein Grund ihrer Eigenständigkeit und Voraussetzung ihrer Schönheit - gesetzt, sie ist Präsenz einer Schönheit ohne Beschönigung. Ein gutes Bild zeichnet sich durch die Intensität einer Bild-Präsenz aus, einer Kraft, die das Bild der Homogenität entzieht und indem sie diese ablenkt, unterscheidet und mehrfach bricht, das Bild einem möglichen Blick des Nicht-Identischen öffnet, den sie dem Betrachter zuwirft. Die Bild-Präsenz spielt so das Namenlose und Unvorhergesehene zu, um das es auch Dokoupil auf seiner Reise ins Ungewisse geht. Und vergessen wir nicht: "Faszination ist der Blick der Einsamkeit."10 Wer sich dem öffnet, öffnet sich in letzter Konsequenz der Inkonsistenz all dessen, was als Wahrheit und Wirklichkeit gilt. Hier stoßen wir auf den existenziellen Ernst des Spielerischen der Soap-Bubble Paintings. Denn eine "Öffnung auf Kontingenz kann nur spielerisch geschehen, denn sie ist Öffnung auf ein Weltspiel, das letzter Determination entbehrt."11 Mit den Worten Nietzsches: "Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen." - Eine Kunst, die sich dem aussetzt, ist ein starkes Spiel im Sinne George Batailles. Im Unterschied zum leichtfertig Verspielten eines schwachen Spiels, zeichnet es sich durch eine "belustigende, kapriziöse Erregung"12 aus, die aufkommt, wenn ein Spiel eine Form gefunden hat, die den Abgrund ontologischer Kontingenz pariert. Georg Dokoupil gehört zu den Künstlern, die uns mit Bilderfindungen starker Spiele erfreuen und die Spielvergessenheit in der Gegenwartskunst vergessen lassen - für Augenblicke des Seifenblasen Denkens freier Affirmation, für Augenblicke einer Kunst des Parierens.

Die Melancholie angesichts einer zerplatzten Seifenblase dauert meist nur eine Sekunde, bis der Spieltrieb wieder einsetzt und eine neue aufsteigen lässt. Zerplatzte Hoffnungen sind Anlass zu neuen Versuchen. Auch dafür stehen Seifenblasen und damit auch für die Kunst. Denn die Arbeit des Wieder-Beginnens ist der Kunst wesentlich. Sie ist die Kindheit ihres Denkens. Bilder zu erfinden und derart Kunst zu behaupten untersteht der Forderung nach einer Rückkehr zur Kindheit des Empfindungsdenkens. Anfängliches Sprechen eines ewigen Wiederneubeginns angesichts des Normalfalls "Scheitern": das ist das Schöne einer Verantwortung der Form, gesetzt, sie ist eine "gewaltlose Synthesis des Zerstreuten"13 und gibt sich als eine jeder Frage zuvorkommende Antwort zu sehen, als Ver-antwortung für den anderen. Zum Beispiel eine Konstellation zerplatzter Seifenblasen Illusionen, die die zuvorkommende Ver-Antwortung eines abstrakten Gemäldes annimmt, das eine informelle Nicht-Indifferenz gegenüber dem anderen ausstrahlt und derart ein Wunder des Gebens ermöglicht - zu sehen, zu fühlen, zu parieren, zu denken. Ein gutes Bild ist Zuvorkommenheit in diesem Sinn, ein einseitiges nicht-indifferentes Geschenk.

Aber sehen Sie selbst, what Soap-Bubble Paintings can do. ***

 

Wilfried Dickhoff: „Seifenblasendenken", Teil 2 „Sphären“, veröffentlicht in: "Dokoupil: Soap Bubble Paintings“, Verlag Wilfried Dickhoff, Berlin 2015


1 Friedlieb Ferdinand Runge: Der Bildungstrieb der Stoffe, ...1855; Neuauflage Berlin ...
2 Ebd., S. 108.
3 Ebd., S. 108.
4 Siehe hierzu: Roland Barthes: Non multa sed multum, in: ders.: Cy Twombly, Berlin 1983, S. 7-37.
5 Ebd., S. 32.13 Jean-Luc Nancy: Am Grund der Bilder, Zürich-Berlin 2006, S. 145.
6 Jean-Luc Nancy: Am Grund der Bilder, Zurich-Berlin 2006, S. 145.
7 Peter Sloterdijk: Sphären I, Frankfurt am Main 1998, S. 18.
8 Ebd., S. 19.
9 Gilles Deleuze & Félix Guattari: Was ist Philosophie?, Frankfurt am Main 1996, S. 235.
10 Maurice Blanchot: Die wesentliche Einsamkeit, Berlin 1959, S. 43.
11 Marcus Steinweg: Inkonsistenzen, unveröffentlichtes Manuskript, Berlin 2014.
12 George Bataille: Spiel und Ernst, in: Das Spielelement der Kultur, hrsg. von Knut Ebeling, Berlin 2014, S. 88.
13 Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1973, S. 216. 


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