In ihrer letzten großen Werkserie „Autobahn Generation Overload“ (2022) hat Künstlerin Constanza Camila Kramer Garfias die Evolution der Stoffe eingeleitet. Früher wurde die Webkunst als Frauenarbeit tituliert und mehr als Handwerk verstanden. Das Weben wurde vor 27.000 Jahren erfunden und ist damit eine der ältesten Formen menschlicher Technologie, aber erst im 20. Jh. wurde durch Künstlerinnen wie Louise Bourgeois und andere die künstlerische Aussagekraft des Mediums anerkannt. Constanza Camila Kramer Garfias beweist auf eindrucksvolle Weise, wie stark und einzigartig die textile Gattung als künstlerisches Medium genutzt werden kann.
Kramer Garfias neue Werkserien „Drift“ und „Dust“ beschäftigen sich mit der faszinierenden Welt der Automobilkultur und speziell des Driftens. Einer Motorsport-Nische, in der Autos mit hohen Geschwindigkeiten durch Kurven vorwärts-seitwärts driften und dabei fast schwerelos wirken. Kramer Garfias, die für ihre innovative Herangehensweise an die Textilkunst bekannt ist, verwebt nahtlos Themen wie Bewegung, Geschwindigkeit und die ätherische Schönheit des Driftens. Das Driften, bei dem Autos mit Präzision und Kontrolle seitlich durch Kurven gleiten, dient Kramer Garfias als metaphorische Leinwand, um Begriffe wie Flüssigkeit, Spontaneität und die Harmonie zwischen Mensch und Maschine zu erkunden. Mit ihren komplizierten Textilkompositionen fängt sie meisterhaft die Essenz dieses adrenalingeladenen Sports ein und bietet dem Betrachter einen Einblick in seine dynamische und berauschende Welt.
„Mich hat dieses Gebiet Drift-Auto wahnsinnig interessiert, weil ich ja schon mit meiner Autobahn-Serie in dieses Thema eingestiegen bin“, erklärt die Künstlerin. Und: „Es ist ein interessanter Spannungsbogen, wenn ein Textil, das ja weich, fließend ist, diese Lack- und Metall-Oberflächen darstellt, weil diese sehr konträr sind, aber trotzdem bestimmte Verwandtschaften besitzen.“
Die Künstlerin verwendet Garne und Fäden wie Mal- oder Bildhauermaterial. In Garfias Werkserie „Drift“ stellt eine flachgewebte Skulptur einen Motorblock dar, dessen Kraft den Stoff vibrieren lässt, obwohl er unbeweglich im Keilrahmen hängt. Eine Landschaft in Stoff aus der „Dust“ Serie zieht neongrell vorbei, ohne sich dabei zu bewegen. Zwei Drift-Autos führen auf einer gespannten 4,2 Meter breiten Jacquard-Webarbeit ein Ballett auf, dessen Geschwindigkeit selbst im stofflichen Stillstand des Werkes fesselt. Diese Arbeiten zeigen eindrucksvoll, was die gewebten Werke der Künstlerin leisten können: Sie fordern unser Sehen und Fühlen heraus. Einer der auffälligsten Aspekte der Arbeit von Kramer Garfias ist die Fähigkeit, Bewegung und Energie durch das Medium Textil zu vermitteln. Mit einer Vielzahl von Materialien und Techniken - vom traditionellen Weben und Sticken bis hin zur experimentellen Stoffmanipulation - schafft sie visuell überzeugende Werke, die ein Gefühl von Bewegung und Vitalität hervorrufen. Jedes Kunstwerk ist akribisch gefertigt, mit Schichten von Textur und Farbe, die die wirbelnden Muster von Rauch und Reifenspuren, die von driftenden Autos hinterlassen werden, nachahmen.
Seit vielen Jahren forscht Kramer Garfias an der Jacquard-Webtechnik, die sie dank neuer Technologien (KI, Lasercutter, Computergesteuerte Stickmaschinen, Industrie-Webmaschinen) und innovativer Materialien kontinuierlich weiterentwickelt. So entsteht ein Dialog zwischen alten und neuen Technologien, zwischen Körperlichkeit und Automatisierung, Sinnlichkeit und Effizienz. Was die Künstlerin an ihren neuen Motiven fesselt?
„Der Spannungsbogen wie Autos zu Textilien stehen. Zudem ist das textile Medium etwas, das sehr stark mit Frauenkultur/-geschichte oder weiblicher Identität assoziiert wird, während das Auto etwas ist, was in der breiten Masse sehr maskulin/männlich konnotiert ist.“
Die Künstlerin wurde in Chile geboren und ist zwischen Südamerika und Europa aufgewachsen. Sie hat an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle Conceptual Textile studiert. Immer wieder beschäftigt sie sich in ihrem Werk mit gesellschaftlichen Realitäten und Gegensätzen und überschreitet dabei die Grenzen gängiger Kunst-Genres.
Mon Muellerschoen
Ausstellungseröffnung: 10.04.2024, 19.00 – 21.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 10.04. – 17.05.2024