Zum Meer - Carsten Fock

30.03.2022 - 13.05.2022
Galerie Wolfgang Jahn | Landshut

Bilder der Ausstellung


Beschreibung

Die Auseinandersetzung mit der deutschen Landschaftsmalerei ist ein zentraler Aspekt in Carsten Focks künstlerischem Werk. In seinen Gemälden und Malereiinstallationen verband der in der ehemaligen DDR aufgewachsene und 1988 in die Bundesrepublik geflüchtete Künstler über Jahrzehnte die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und die kritische Hinterfragung der Ost-West-Malerei im geteilten Deutschland der sechziger und siebziger Jahre. Hierbei bezog er sich ebenso auf Größen wie Gerhard Richter, Georg Baselitz und Sigmar Polke, die aus der ehemaligen DDR geflohen waren und im Westen bei den Vertretern des deutschen Informell studierten, wie auch auf Günther Förg, seinen Lehrer Per Kirkeby, die Maler des deutschen Expressionismus. 

Landschaftsmalerei, das war bei Fock immer ein historisch und kunstgeschichtlich kontaminiertes Sujet, verbunden mit Reflexionen über die deutsche Vergangenheit, Nationalismus, Krieg und Teilung - aber auch über die Gewalt der Moderne. Focks Gemälde unternahmen dabei den Versuch formaler, analytischer, popkultureller Kommentar zu sein, "Malerei über Malerei" - aber auch so etwas wie eine innere Vision der Gegenwart zu entwickeln. Dabei thematisierte er immer wieder die ideologische Rolle der Kunst und des Künstlers, die Machtverhältnisse, die Malerei repräsentiert. 

Zwischen September 2020 und Januar 2021, in der zweiten Corona-Welle, entsteht im dänischen Vejby eine Reihe von mittelgroßen Papierarbeiten im Format 40 x 30, sämtlich mit den Fingern gezeichnet. Diese gegenstandslosen Zeichnungen markieren einen klaren Bruch mit dieser künstlerischen Praxis. Fock ist in dem kleinen Ort am Kattegat in einem Zustand der persönlichen und künstlerischen Krise angekommen. In diesem ersten Zyklus geht es um die sowohl künstlerische wie auch existenziellen Frage: Was brauche ich? Was muss ich gehen lassen? Es geht nicht um das was war oder kommt, sondern nur um das, was ist. Man spürt auf diesen Arbeiten die formale Auflösung, das buchstäbliche Loslassen von Erwartungen, Vor- und Nachbildern, vom Wissen um Kunstgeschichte, von den Malereizitaten, die sonst immer notwendig waren, wie ein Geländer, an dem man sich festhalten kann, weil der Boden rutschig ist. Wie auch in den ganz aktuellen Arbeiten in der Ausstellung „Zum Meer“, fehlt schon in diesem Zyklus 2020/2021 das Männliche, das Kräftemessen, das Spiel mit Erhabenheit. An deren Stelle ist etwas Unbestimmtes, Geschlechtsloses, Grenzenloses getreten. Focks Malerei blickt auf den Horizont, registriert oder erinnert Lichtverhältnisse, Farben, die Witterung, Tageszeiten, Temperaturen. Es geht um ganz rudimentäre, physische Wahrnehmungen, aus denen die Malerei wie eine Essenz entwickelt wird. Aber die Bilder, die in Vejby entstehen, sind bodenlos. Fock schafft schier unendliche Farbräume, Landschaftsmalerei aus der die Landschaft verschwindet, oder zumindest auf einen Nullpunkt gebracht wird. 

„Zum Meer“ bedeutet dabei kein Zurück zum reinen Ursprung, kein Zurück zur vermeintlichen Natur, die im Anthropozän sowieso untrennbar mit der menschlichen Kultur verschmolzen ist. Gemeint ist eher der Weg zur Leere, zur Offenheit. Das Fallenlassen von Geschichte und Geschichten, das Aufgeben von Kontrolle, von Abgrenzung. Die Zeichnungen in der aktuellen Ausstellung entstanden in der Zeit nach diesem ersten Aufenthalt an der dänischen Küste - in Bamberg, wo der Künstler inzwischen lebt, in Bad Gastein im Salzburger Land und bei seiner Rückkehr nach Vejby Anfang 2022. Focks jüngste Arbeiten sind Hybride aus Zeichnung und Malerei. Besonders die großformatigen Werke, die jetzt in Vejby entstanden, sind noch reduzierter, streifen die Randgebiete konkreter Malerei. Noch immer, besonders wenn Formen auftauchen, die an Gegenständliches erinnern könnten, an Pflanzen, Wolken, Gestein, haftet Focks Bildern etwas Schwärmerisches an. Doch zugleich ist da eine fast meditative Nüchternheit. Diese Bilder verweisen nicht wirklich auf etwas Greifbares. Sie spiegeln keine Gefühlszustände wider, sind so weit wie nur möglich vom Spezifischen, von Menschen, Orten, Dingen, der eigenen Biografie entkoppelt.

Der Watzmann, den Caspar David Friedrich malte, das Alpenpanorama des Berchtesgadener Landes, in dem sich der Führer auf dem Berghof in Obersalzberg inszenierte, die Türme der Grenzanlagen zwischen Ost und West - das waren deutsche Landschaften, mit denen Fock sich in den vergangenen Dekaden beschäftigte. Immer waren sie historisch und kulturell aufgeladen, dramatisch inszeniert, eine Art Kulisse oder Folie für die Malerei. Der Blick hinaus, das war in Focks Malerei immer auch politischer Kommentar, ein Akt der Selbstermächtigung, eine Art heroische Gradwanderung zwischen formalem und therapeutischem Experiment, Anrufung und Austreibung. Doch in den jüngeren Arbeiten, die ab Ende 2020 entstehen, dreht sich dieses Verhältnis radikal um. Sprachlosigkeit kehrt ein. Jetzt ist es die Landschaft, die in die Seele blickt. 

 

Oliver Koerner von Gustorf