Mit der Ausstellung “Landscape Engineering“ zeigt die Galerie Wolfgang Jahn erstmalig in ihren Räumlichkeiten eine Einzelpersonale mit Werken von Sven Drühl. Drühl, 1968 in Nassau an der Lahn geboren, lebt als bildender Künstler in Berlin und ist zudem promovierter Kunsttheoretiker und studierter Mathematiker. Für ein umfassendes Verständnis seiner künstlerischen Arbeit sind gerade diese Expertisen von entscheidender Bedeutung.
Von Schneefeldern bedeckte Hochgebirgsgipfel, deren einheitlich dunkel gehaltene raue, schroffe Steinmassen in Form von Graten, Flanken, Felsvorsprüngen und Gletschermoränen kontrastreich hervorstechen. Seestücke, die das Spiel der bewegten Wasseroberfläche mit ihren Wellenbergen und -tälern in einem grafischen Liniengeflecht in den hellen Erhebungen und dunklen Absenkungen ihrer Faltungen im Moment festhalten. Schwarz verschattete Baumstrukturen, die sich im Zwielicht mit ihren zahlreichen Verästelungen gegen einen grauen Wolkenhimmel, gleich dem Erscheinungsbild von Adern und Synapsen, absetzen. Drühl konfrontiert, verführt und begeistert den Betrachter mit Landschaftsbildern von höchster künstlerischer Präzision, ohne diesem Genre im herkömmlichen Sinne entsprechen zu wollen. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf bei der genaueren Und analytisch sezierenden Betrachtung seiner Werke sowie mit dem Wissen um seine Arbeitsweise und den Techniken seiner Bildgenerierung. Dabei ist der Begriff der „Auflösung“ mit seinen Assoziationen zu computerbasierten Bildern und detaillierten Bildschirmwiedergaben wie auch zur Abstraktion im Sinne eines Aufschlüsselns von Inhalten in Farb- und Formelemente ein zentraler Schlüssel zum Verständnis.
Drühls Bergpanoramen scheinen seltsam vertraut und sind es gerade doch nicht. Man meint, auf den ersten Blick markante Gipfel und Gebirgszüge auszumachen und sie den Hotspots des Alpinismus zuzuordnen zu können, nur um dann bei eingehender Betrachtung feststellen zu müssen, dass irgendetwas so nicht stimmen kann und man einer Täuschung unterliegt. Auch die bildimmanente überzeugende Licht- und Schattenführung ist im Vergleich zu den fotografischen Abbildungen bekannter Berghöhen irreführend und von den Gesetzmäßigkeiten der Realität abweichend. Drühl ist nicht der klassische Landschaftsmaler, der sich die Natur zum unmittelbaren Vorbild nimmt. Seine Berge sind Produkte der Imagination, die aus unterschiedlichen Versatzstücken der Wirklichkeit zusammengesetzt sind, bis sie zu rein fantastischen Gebilden werden. Seine motivischen Vorlagen sind computergenerierte Ansichten, die mithilfe von künstlicher Intelligenz aus dem enormen Bildfundus des Internets entwickelt werden. Hier zeigt sich der Künstler ganz im Sinne der Appropriation Art beeinflusst, indem er sich vorgefundener und ausgewählter Quellen bedient. In seinem Falle sind es Vektorgrafiken, digitale Dateien, die sich beliebig skalieren und bearbeiten belassen. Er bezieht diese Daten von spezialisierten Zulieferfirmen für Game Development Studios, die dergestalt beispielsweise die detaillierten Hintergründe in aufwendigen Computerspielen bereitstellen, um das Phänomen der „Immersion“, das Gefühl gänzlich in einen illusorisch geschaffenen Raum einzutauchen, bestmöglich zu gewährleisten. Durch die Wahl eines geeigneten Ausschnitts entsteht an Drühls Rechner das Motiv. Die so generierte Vorlage wird in einem technisch aufwendigen Verfahren als Schablone, die die Formen und Umrisse definiert, umgesetzt. Diese wird als Klebefolie ausgeplottet und auf die entsprechend mit Farbschichten vorbehandelte Leinwand appliziert. In einem nächsten Arbeitsschritt entstehen durch Farb- und Lackauftrag die Kolorierungen der einzelnen ausgestanzten Flächen, ehe die Schablone für Stück für Stück abgezogen wird. So ist das Weiß der Schneedecke, anders als erwartet, nicht die letzte Schicht, sondern leuchtet aus dem Hintergrund der ersten Farbschichten heraus. Auch die zum Teil glänzenden Lackbeschichtungen, die die Felsformationen als homogene und glatte Oberflächen wiedergeben, irritieren insofern, als dass sie im eigentlichen Wiederspruch zur harschen Struktur ihrer materiellen Beschaffenheit stehen.
Drühls komplexe Arbeitsweise lässt sich als Analyse- und Syntheseverfahren bezeichnen. Er dekonstruiert die Vorlage in einzelne abstrahierte Muster und Formgebilde und setzt das Gesamtbild strukturell aus diesen für sich stehenden formalen Einzelelementen, die wie Farbflecken wirken, wieder zu seinem allumfassenden Bildgefüge zusammen. Trotz dieser präzisen und in immer komplexerer Weise ausdifferenzierten Formen haftet dem Gesamteindruck seiner Bilder etwas grafisch Reduziertes an, das gerade in Hinblick auf die starken Hell-Dunkel-Kontraste an Druckverfahren erinnert.
Drühls Werke wirken kühl und distanziert, seltsam entfremdet und wie durch einen Filter entrückt, nicht zuletzt, weil der Mensch und seine Spuren darin nicht vorkommen. In seinen Bergbildern wendet sich der Künstler bewusst und dezidiert gegen eine Vereinnahmung als „Bedeutungslandschaften“, wie sie lange Zeit die Tradition der Landschaftsmalerei in den vergangenen Jahrhunderten mitbestimmten. So wirkt die Wiedergabe seiner Gebirgszüge zwar imposant, jedoch malerisch nicht pathetisch und heroisch aufgeladen. Als virtuelle Objekte mit entferntem Realitätsbezug lassen sie auch keine identitätsstiftende Heimattümelei zu. Drühl befreit die Berge vom oktroyierten inhaltlichen Ballast ihrer Interpretation in der Vergangenheit. Und dennoch lassen seine Bilder genügend Raum für Emotionen. So mag einem beim Anblick seiner Werke das Gefühl von Melancholie und Einsamkeit beschleichen, Empfindungen, wie sie nicht nur in eisigen Höhen vorkommen, sondern auch in der virtuellen, uns Realität vorgaukelnden Welt, in der sich das Individuum als bloßer Avatar verirren kann. Aus ästhetischen, mitunter vordergründig dekorativ anmutenden Bildern wird bei Sven Drühl vielschichtige Konzeptkunst.
Dr. Veit Ziegelmaier