Mit Rainer Fetting (*1949 in Wilhelmshaven) präsentiert die Galerie Wolfgang Jahn einen weiteren Hauptvertreter aus der Gruppe der „Jungen / Neuen Wilden“, die sich Ende der 1970er in Berlin formierte und deren figurative Malerei durch einen gestisch freien, auf starke Kontraste setzenden Farbauftrag charakterisiert ist. Dennoch lässt sich die Kunst von Fetting, dessen Schaffen sich über die Jahrzehnte hinweg in individueller Ausprägung entwickelt hat, nicht in allzu eng gefasste Kategorien einordnen.
Die Ausstellung zeigt aktuelle Malereien sowie einige Plastiken Fettings, der als Bildhauer auch die überlebensgroße Willy-Brandt –Bronze für die Bundeszentrale der SPD in Berlin gefertigt hat. Die Arbeiten des Künstlers sind gekennzeichnet von einer eindringlichen und spürbar hingebungsvollen Darstellung von Körperlichkeit. Seine ganzfigurigen Portraits von Vertrauten und Weggefährten treten mit flüchtigen, treffsicher gesetzten Pinselstrichen in zuweilen lasziv-sinnlichen Posen dem Betrachter gegenüber, so dass letztlich die Grenze zwischen privatem Einblick und öffentlicher Repräsentation im Bild verschwimmt. Auch die Brustportraits, die wiederholt den Tänzer Desmond Cadogan, langjährige Muse und Modell des Künstlers, zeigen, sind unverstellte emphatische Charakterstudien, die in ihrer gekonnt freien Ausführung über das reine Abbild hinaus, sich auf das Wesen und Wesentliche der dargestellten Person konzentrieren. Immer wieder setzt Fetting auf spannungsreiche Farbkontraste wie etwa bei dem Titel gebenden Selbstportrait „Speier der alten Leier“ (2018) oder „Desmond mit Hut“ (2020). Die dunkel gehaltene Tonalität dieser Arbeiten kann als bildimmanenter Ausdruck der in den Gesichtern wiedergegebenen ernsten Nachdenklichkeit gesehen werden, wird aber im Bereich der Darstellung der Hüte von einem knalligen Blau bzw. leuchtenden afrikanischen Farbmuster eindrücklich kontrastiert. Gerade so, als wenn die durch die Buntwerte suggerierte Froheit buchstäblich nur aufgesetzt wäre.
In seinen Werken bedient sich Fetting auch filmischer Stilelemente, wenn er etwa seine Figuren im „close up“ anschneidet und dadurch dem Bildausschnitt, zusammen mit seiner flüchtigen, Bildunschärfe suggerierenden Malweise, eine zusätzliche Unmittelbarkeit und Dynamik des festgehaltenen Moments verleiht. Zudem experimentiert der Künstler mit der Form seiner Leinwände, wenn er gelegentlich zwei unterschiedliche Formate zu einem ungewohnt asymmetrischen aufgebauten Bildträger montiert.
Die „Sylt“-Bilder zeigen mitunter einen anderen Aspekt in Fettings Schaffen, da sie sich in der Art der malerischen Wiedergabe von anderen seiner Werke unterscheiden. Die anmutige Wildheit und Schroffheit dieser Landschaftsdarstellungen ist hier weniger einer „heftigen“, auf starke und übersteigerte Farbakzente setzenden Malerei geschuldet, sondern vermittelt sich in erster Linie durch die Auswahl des Motivs und seiner meisterlichen Wiedergabe in tonaler, an den tatsächlichen Gegebenheiten orientierenden Farbigkeit. Stilistisch und motivisch lassen diese Bilder im Ansatz an die Badeszenen Max Liebermanns aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert denken. Bei Fetting sind es trainierte Surfer, Badende, Spaziergänger oder Möwen, die sich den Elementen ausgesetzt und dennoch im Einklang mit der Natur in einer rauen Nordseelandschaft wiederfinden. Trotz der Lebensfreude, die das Wellenreiten mit sich bringt, sind diese Werke von einer meditativen Ruhe des stillen Beobachtens geprägt und von einer durch die Einsamkeit der Orte gepaarten Melancholie beseelt. Dabei wirkt Fettings „Blauer Surfer“ (2020), eine grazile männliche Rückenfigur am von Mondschein beschienen Strand, wie ein entferntes und individualisiertes Zitat aus den Bildwelten des großen Romantiker Caspar David Friedrich.
Die Bronzen, die mit dem ästhetischen Reiz des „Non-finito“ spielen, sind in ihrer Ausführung bewusst „grob“ und expressiv gehalten und dennoch zielsichere Charakterportraits, denen in ihrem an Grottenformationen erinnernden Erscheinungsbild etwas Archaisches und damit gänzlich Ursprüngliches, zugleich aber auch Zerbrechliches und Zerrüttetes anhaftet.
Dr. Veit Ziegelmaier